Dr. Richard Epstein im Interview: Wie digital “muss” oder “sollte” Lehre an Schulen sein?

WDA-Vorstandsmitglied Dr. Richard Epstein war sehr lange selbst aktiv im Vorstand an einer Deutschen Auslandsschule. Jetzt antwortet er auf Fragen der Digitalisierung: Wie ist der Status quo an den Deutschen Auslandsschulen und welche Bedeutung haben Virtual Reality und Augmented Reality für das Thema Fachkräfte?

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Dr. Richard Epstein spricht im Interview mit Bolela Likafu über Digitalisierung an den Deutschen Auslandsschulen. Foto: Dr. Richard Eptein.

Während der Covid19-Pandemie wurde die Lehre an vielen Schulen auf der ganzen Welt innerhalb weniger Wochen in die „Virtualisierung” katapultiert. Welche Erfahrungen stellen sich hierbei für Administratoren, Schüler und Lehrenden?
Dr. Richard Epstein ist seit 2022 Vorstandsmitglied des Weltverbands Deutscher Auslandsschulen (WDA), seit 2011 Vorstandsmitglied des Schulvereins (Schulträger) der Deutschen Schule Athen*, Gastdozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Berater der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH und freier Unternehmer in Deutschland und Griechenland.

Bolela Likafu: In Ihrer Rolle als Vorstand der Deutschen Auslandsschulen folgende Frage an Sie: Was ist der Status Quo der Digitalisierung an den deutschen Auslandsschulen?

Dr. Richard Epstein: Das Besondere an den Deutschen Auslandsschulen ist, dass die Auslandsschulen tatsächlich von Deutschland aus in aller Welt gefördert werden. Das sind im Moment 135 Schulen überall auf der Welt mit insgesamt 85.000 Schülerinnen und Schülern, von denen 64 % nicht deutscher Herkunft sind. Die erste deutsche Auslandsschule gab es schon im Jahre 1575 in Kopenhagen. Ich persönlich bin schon sehr lange im Vorstand einer spezifischen Deutschen Auslandsschule in Athen aktiv, weil ich seit vielen Jahren aus privaten Gründen in Griechenland lebe.* Die Auslandsschulen sind, wenn Sie so wollen, ein Vertreter der deutschen Bildung vom Kindergarten bis zum Abitur und anderen Abschlüssen im Ausland. Sie werden getragen durch freie, gemeinnützige Träger. Meistens sind das Vereine und insofern sind es öffentlich-private Partnerschaften. Der Weltverband der Deutschen Auslandsschulen ist die Vertretung dieser freien gemeinnützigen Schulträger der Deutschen Auslandsschulen. Wir versuchen, die vielen Einzelstimmen zu einer starken Stimme zusammenzufassen. Nun zur eigentlichen Frage: Wie ist der Status? Man kann eigentlich nur sagen: Er ist zumindest besser als im deutschen Inland. Wir haben vom Digitalpakt in Deutschland gehört und auch von den Problemen, das Geld überhaupt abfließen zu lassen. Leider gibt es für Auslandsschulen keinen Digitalpakt. Dennoch spricht die Tatsache für uns, dass bei den Auslandsschulen eine freie Trägerschaft herrscht, trotz Förderung durch die Bundesrepublik Deutschland. Die Einnahmen der Schulen werden durch Schulgeld von den Eltern für ihre Kinder generiert und das in großem Umfang. Daher herrscht hier die Ausrichtung wie an einer Privatschule. In dieser Privatschule sind zum einen die Anforderungen der Eltern hoch, zum anderen sind aber auch die Bereitschaft und Flexibilität, diese Mittel für digitale Themen einzusetzen, wesentlich höher. Es gibt eine Studie zum Stand der Digitalisierung an den Deutschen Auslandsschulen, die der WDA gemeinsam mit dem Bündnis für Bildung durchgeführt hat. Man kann dort tatsächlich konstatieren, dass zumindest ein Viertel aller Auslandsschulen ihr Zielbild Digitales Lehren und Lernen schon vollständig erarbeitet haben. Fast die Hälfte der Schulen gibt an, dass das weitestgehend der Fall ist. Das heißt, wir haben eine durchaus gute Situation. Und wie in Deutschland auch, hat natürlich die Pandemie hauptsächlich dazu beigetragen, dass diese Entwicklung deutlich beschleunigt wurde. Man kann es sich in einer Privatschule eben nicht leisten, den Unterricht einfach ausfallen zu lassen. Stattdessen musste man sehr, sehr schnell an Lösungen arbeiten. Das hat natürlich dazu geführt, dass die Rahmenbedingungen für Digitalisierung deutlich schneller umgesetzt werden konnten und auch mussten. Rahmenbedingungen heißt erstmal: digitale Infrastruktur. Gibt es überall WLAN? Gibt es genügend Computer? Möglicherweise gibt es auch erste Laptops oder iPads für Klassen. Meine Erfahrung an der Deutschen Schule Athen war, dass wir Smartboards für die Klassenzimmer angeschafft haben. Inzwischen ist jeder Klassenraum damit ausgestattet. Aber nur die Ausstattung reicht nicht aus, wir müssen auch die beteiligten Personen mitnehmen. Und da sind nicht die Schüler zu nennen – die sind meistens schon sehr digital unterwegs – sondern eher die Lehrer. Und die muss man wirklich für digitale Maßnahmen ausbilden. Man muss Widerstände überwinden, dass sie sich ausbilden lassen wollen, damit sie die Vorteile dieser Art des Lernens und des begleitenden Lehrens durch digitale Medien erkennen, mittragen und umsetzen wollen.

Likafu: Wie beurteilen Sie den Einfluss von VR/AR auf Bildung und Gesellschaft?

Epstein: Interessante Frage. Der Status Quo ist wahrscheinlich noch nicht so fortgeschritten, wie er es sein könnte. Wir reden noch über Technologien, die nur einer bestimmten eingeschränkten Gruppe zugänglich sind bzw. die nur von einer bestimmten eingeschränkten Gruppe genutzt werden. Wenn wir darauf Bezug nehmen, was für ein Potenzial VR und AR haben, dann kann ich nur sagen: Es besteht ein enormes Potenzial, weil zum einen die junge Generation mit diesen Themen aufwächst und sie zu Recht auch einfordert, und andererseits sind die Vorteile auf verschiedensten Ebenen sehr groß. Gerade wenn wir an Bildung denken. Wir können hohes Engagement durch diese neuen Technologien erzielen. Wir haben eine wahrscheinlich verbesserte Verankerung von Wissen, es gibt die Möglichkeit der Wiederholung. Wir können in einer sicheren Umgebung lernen, was gerade auch im Ausland unter Umständen sehr wichtig ist. Möglicherweise wird es auch eine Kostenverringerung geben. Darüber kann man jedoch streiten, denn wenn genau bekannt ist, was jetzt auf die Gesellschaft zukommt, muss zunächst investiert werden. Auch über die Auswirkungen auf die Gesellschaft kann man streiten. Wenn wir immer mehr in virtuellen Welten leben, können möglicherweise verschiedenste soziale Kompetenzen verloren gehen. Die soziale Interaktion zwischen Menschen ist eigentlich durch nichts zu ersetzen. Wenn ich mir meine eigenen Kinder anschaue, wie oft und wie lange sie auf Social-Media-Plattformen unterwegs sind, wie sie es inzwischen als normale Interaktion unter Freunden betrachten – teilweise natürlich notgedrungen durch die Pandemie –, macht mir das schon Sorgen. Wir sollten kritisch hinterfragen und sehen, welche Kompetenzen gerade die junge Generation braucht, um mit diesen Fragestellungen umgehen zu können: Was bedeuten digitale Medien für meine Social-Life-Interaktion eigentlich? Und wie kann ich damit umgehen? Das zu trennen und nicht nur in der virtuellen Welt weiterzuleben, finde ich wunderbar.

Likafu: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der deutschen Auslandsschulen bezüglich Virtual Reality und Augmented Reality?

Epstein: Ich glaube, dass die Auslandsschulen insgesamt Vorreiter für das sein können, was in Deutschland passiert – aufgrund ihrer deutlich flexibleren Struktur. Wir haben im Ausland Botschafter für Deutschland und umgekehrt. Die Vermittlung dieses Deutschlands bildet die Brücke zwischen den Ländern und den Kontinenten und das macht es eigentlich auch sinnvoll, von deutscher Seite aus in diese Auslandsschulen zu investieren und sich nicht nur auf die privaten Beiträge von Eltern zu verlassen. Wir wollen nicht Schulen nur für eine gewisse finanzielle Elite haben. Das heißt, das gewünschte Ziel wäre definitiv, dass wir etwas Ähnliches wie den Digitalpakt auch für Auslandsschulen kreieren, um dort die Digitalisierung und insbesondere die dafür nötige Infrastruktur weiter voranzutreiben. Das ist genauso wichtig, wie die Fort- und Weiterbildungen des Lehrpersonals. Denn die Lehrenden gehören häufig noch einer Generation an, die nicht mit solchen Themen aufgewachsen ist und daher vielleicht auch Bedenken hat. Es gibt ein Fortbildungsprogramm für deutsche Auslandsschulen, aber das muss unbedingt auch um digitale Themen angereichert werden. Es sollten auch Leuchttürme geschaffen werden, also ein besonderes Schulmodell, an dem man sich orientieren kann und das als Benchmark dienen kann. Es gibt erste Schritte in diese Richtung. Die deutsche Schule in Prag ist so etwas wie eine digitale Modellschule. Allerdings ist dort noch nicht von Extended Reality die Rede. Wir reden aber zumindest mal über eine deutlich verbesserte Infrastruktur, damit wir überhaupt die Möglichkeit haben, in unterschiedlichen Gruppen und zu bestimmten Themenfeldern tätig zu sein. Das bedeutet keinen starren Unterricht in zum Beispiel Biologie zu machen, sondern bestimmte Themen in den Mittelpunkt zu stellen, und dann neben Biologie auch Geografie, Sprache, Mathematik anhand dieses Themas zu vermitteln. Das ist nur durch moderne Technologien möglich, denn vier oder fünf Lehrer in einen Unterrichtsraum zu bringen ist nicht denkbar. Diese Modelle müssen wir weiterdenken, aber das kostet Geld. Das heißt, der Wunsch an die deutsche Politik für die Auslandsschulen ist, dass das Auswärtige Amt, das die Förderung finanziert, tatsächlich für Digitalisierung und VR/AR Lehrumgebungen an Schulen deutlich mehr Geld bereitstellt. Wir brauchen in Deutschland Fachkräfte und wo, wenn nicht in den Deutschen Schulen im Ausland, „machen“ wir Fachkräfte! Hier bewerben wir ein attraktives Deutschland für Fachkräfte, indem wir zeigen, dass deutsche Schulen Vorreiter sind und eben solche Unterrichtsmethoden nach vorne bringen und die modernen Technologien nutzen. Nur dann können wir auch als Arbeitsstandort gefragt werden.

Auszug aus dem Interview von Bolela Likafu mit Dr. Richard Epstein. In: Bolela Likafu, Christian Malterer (Hrsg.): Extended Reality in Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Medien. Immersive Technologien und virtuelle Welten: Grundlagen, Status quo, Ein- und Ausblicke. Springer Gabler, 2023.

* Richard Epstein engagierte sich von 2011 bis August 2023 im Schulvorstand der Deutschen Schule Athen. Von 2019 bis 2022 war er stellvertretender Vorsitzender des Schulvorstands.

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