— Es gilt das gesprochene Wort —
Sehr geehrter Herr Außenminister Maas, sehr geehrte Ulla Schmidt, liebe Frau Toledo, liebe Frau Bauni, liebe Gäste, meine Damen und Herren,
„Der Mann, der den Berg abtrug, war derselbe, der anfing, kleine Steine wegzutragen.“ Ein weises Zitat, das – wie so viele kluge Weisheiten – Konfuzius zugeschrieben wird.
Dieses Zitat hat auch heute noch aktuellen Bezug sei es in der Wirtschaft, in der Politik, zumal in der Außenpolitik. Und besonders im Auslandsschulwesen.
140 Deutsche Auslandsschulen gibt es heute, auf allen Kontinenten, in mehr als 70 Ländern – von China über Ägypten bis Russland. Für jede dieser Schulen, so unterschiedlich sie sind, waren Berge abzutragen – und oft war der Weg extrem steinig.
Hinter jeder der 140 Auslandsschulen steht ein Aufbruch und der Wille, Berge zu versetzen. So einen Aufbruch gab es übrigens auch vor 15 Jahren, als das Netzwerk des Weltverbands Deutscher Auslandsschulen gegründet wurde. Es braucht Menschen, die vor Ort – ob in Melbourne, Manila, Kapstadt, Dublin, Bogotá oder Toronto – etwas bewegen wollen.
Deutschland ist dabei das Verbindende – als Heimat, als Bezugspunkt der Werte, als Vorbild für Bildungsideale. Und als Partner, wenn es gelingt, durch die Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt die notwendige Unterstützung zu erhalten.
Ehrenamtliche Vorstände gründen und führen die Schulen, Bund und Länder fördern sie. Im Durchschnitt mehr als 70 Prozent ihrer Einnahmen erwirtschaften die freien Träger selbst, wie die aktuelle Untersuchung des WifOR-Instituts im Auftrag des WDA zeigt. Dazu erfahren Sie am Freitag mehr, wenn die Studie vorgestellt wird. Je Deutscher Auslandsschule arbeiten die Vorstandsmitglieder pro Jahr über 1000 Stunden ehrenamtlich – auch das ein Ergebnis der Untersuchung.
Ohne das ehrenamtliche Engagement der freien Träger wäre das deutsche Auslandsschulwesen also gar nicht denkbar. Aber ohne Unterstützung aus Deutschland könnte es ebenfalls nicht funktionieren.
Denn die Deutschen Auslandsschulen sind eine äußerst erfolgreiche öffentlich-private Partnerschaft. Diese Partnerschaft, heute nennen wir das – Private Public Partnership – ermöglicht durch relativ geringe staatliche Investitionen einen maximalen und nachhaltigen Effekt. Eine Partnerschaft, die seit über hundert Jahren Bestand hat, deren Wurzeln aber noch weiter zurückreichen. Diese Wurzeln sind zugleich das Fundament für die heutige Generation der Deutschen Auslandsschulen.
Lassen Sie mich an einem Beispiel erläutern, wie eine Familie Stein um Stein und Berg um Berg bewegt hat, um eine Deutsche Auslandsschule zu gründen und für die Zukunft aufzustellen. Es ist ein Beispiel, das für viele andere steht:
Heinrich Grassmann nahm 1884 mit seinem Vater die beschwerliche Reise vom Hunsrück nach São Paulo auf sich. Für die Seepassage verdingte sich Heinrich als Schiffsjunge. In der neuen Heimat fand er Arbeit als Schmied und gründete eine Familie. Doch in dem Stadtviertel, in dem er lebte, fehlten gute Schulen. Wie sollten die Kinder in der deutschen Sprache mit deutschen Werten unterrichtet werden? Also fasste er den Entschluss: „Ich gründe eine Schule“. Gemeinsam mit anderen Eltern gründet Grassmann 1916 diese deutsche Schule.
Doch der Erste Weltkrieg macht den Gründern einen Strich durch die Rechnung und die Schule musste 1917 wieder schließen. 1921 kann die Schule, mit Grassmann als Vorstandsvorsitzenden, wieder öffnen. Grassmann, inzwischen erfolgreicher Inhaber eines Handwerksbetriebes, spendet der Deutschen Schule das erste eigene Grundstück. Da kein Geld für ein Schulgebäude vorhanden ist, finanziert er auch noch den Schulbau. Die Schule wächst. Der erste große Meilenstein ist geschafft, die Idee ist Wirklichkeit geworden. Doch 1942 muss die Schule abermals, wegen des 2. Weltkrieges, schließen. Der gesamte Besitz wird vom brasilianischen Staat enteignet. Paul, der jüngste Sohn von Heinrich Grassmann, will das nicht hinnehmen. Von Haus zu Haus klappert er sämtliche deutsche Familien ab und überzeugt sie, ihn zu unterstützen. Man engagiert einen Rechtsanwalt, um die Enteignung anzufechten. Schließlich, nach neun Jahren juristischem Kampf, gelingt es Paul Grassmann – gemeinsam mit seinem Schwiegersohn Hermann Klasing – die Schule wieder zu eröffnen. Mehrere Generationen erringen diesen zweiten Meilenstein gemeinsam.
1959 wird Hermann Klasing Vorsitzender der Humboldt-Schule. In seiner Amtszeit wächst die Schule von 50 auf fast 1.000 Schüler an. Die Humboldt-Schule wird als Deutsche Auslandsschule anerkannt. Aus der kleinen Dorfschule war eine große und bekannte Begegnungsschule geworden. Der dritte große Meilenstein ist geschafft!
Stellen Sie sich vor, welche Berge diese Familien bewältigen mussten! Welche Steine sie aus dem Weg geräumt haben, um ihr Schulprojekt am Leben zu halten! Alle Grundstücke und Gebäude wurden aus Eigenmitteln finanziert. Erst Ende der 1970er Jahre genehmigt die Bundesrepublik die Zuwendung für einen Neubau. Über mehrere Generationen haben die Nachfahren des Gründers zum Erfolg der Schule beigetragen – ehrenamtlich, als Lehrkräfte und im Management. Die Ur-Enkelin des Gründers ist heute Verwaltungsleiterin der Schule – und…. sie ist heute hier bei uns! Herzlich Willkommen Frau Klasing-Sparovek!
Ich freue mich sehr, dass mit Ihnen gleichsam die DNA der Humboldt-Schule São Paulo und der Deutschen Auslandsschulen heute hier in Berlin vertreten ist. Und Sie sind sicher nicht die einzige hier im Raum, deren Biografie eng und lange mit einer Schule verbunden ist. Ich nenne stellvertretend Bogota und Hongkong.
Vielen herzlichen Dank, Frau Klasing Sparovek.
Das macht den Weltkongress Deutscher Auslandsschulen so besonders: Auswärtiges Amt, Zentralstelle und Weltverband veranstalten den Kongress gemeinsam; Vorstände, Schulleiter und Verwaltungsleiter kommen zusammen, um sich auszutauschen – mehr als 500 Teilnehmer vertreten heute hier Deutsche Auslandsschulen. Erstmals sind darüber hinaus auch Absolventen der Schulen dabei. Ich möchte Ihnen allen großen Dank aussprechen – für Ihren Einsatz und die partnerschaftliche Zusammenarbeit!
Zugleich danke ich auch allen Partnern des WDA, die den Weltkongress unterstützen: der Union Krankenversicherung, Undütsch, der German Language School – GLS, Hohenloher und Rednet sowie ISIC und Stüber Systems. Ferner Cornelsen, e-mergency, Hueber, der IST Group, der Westermann Group sowie dem Didacta Verband, Line UPR und NEC. Sie alle sind ein ganz wichtiger Teil unseres weltweiten Netzwerks.
Meine Damen und Herren, in einer Welt, die sich immer schneller verändert, ist es wichtig, sich rasch auf Neues einstellen zu können. Die Deutschen Auslandsschulen verdeutlichen das: Ihre Bildungsarbeit im Ausland schafft verlässliche und innovative Ankerpunkte des deutschen Kulturverständnisses. Über die Schulen verbindet sich Deutschland mit seinen Partnern in der Welt – langfristig, nachhaltig, von Generation zu Generation. Dafür stehen gerade auch die jüngeren Schulen in Afrika, der arabischen Welt und Asien. Die Neugründungen verdeutlichen, wie lebendig dieses Netzwerk ist.
Aber nicht nur die Gründungsgeschichten der Deutschen Auslandsschulen sind von besonderer Bedeutung, sondern sind auch heu
te hochaktueller Bestandteil der Auswärtigen Kultur-und Bildungspolitik.
China und Russland, aber auch andere Länder investieren massiv in Kommunikation, Kultur und Bildung mit dem Ziel, ihre Sicht der Welt zu verbreiten. Die Wissenschaftler der Berliner Hertie School of Governance kamen zu dem Ergebnis, dass man die AKBP nicht länger als „weiches“ Politikfeld ansehen dürfe, sondern müsse sie als „wichtigen Bestandteil des außenpolitischen Instrumentariums“ betrachten. Sofern Deutschland im Wettbewerb bestehen wolle, müsse es „die Mittel aufstocken und gerade in den geopolitisch, umkämpften‘ Regionen seine Aktivitäten ausbauen. In einer Zeit, in der Konfuzius und Humboldt- vor wenigen Tagen wurde das Humboldt Jahr eröffnet- kulturpolitisch zu Konkurrenten werden, spielen Deutsche Auslandsschulen eine Schlüsselrolle. Ohne sie ist der „Wettbewerb der Narrative und Werte“, wie es im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt, nicht zu gewinnen.
Denn die Deutschen Auslandsschulen vermitteln mehr als Sprache. Sie vermitteln, wofür Deutschland steht. Sie bieten ganzheitliche Bildung, vom Kindergarten bis zum Abitur, dem gemischtsprachigen International Baccalaureate mit Schwerpunkt Deutsch (GIB) und weiteren Abschlüssen. Sie bilden im PASCH-Netzwerk Knotenpunkte der kulturellen Infrastruktur Deutschlands. Sie prägen Bildungsbiografien junger Menschen, wie dies kein anderer Schultyp schafft.
Meine Damen und Herren, dieser Weltkongress ist ein besonderer, denn wir begehen wichtige Jubiläen. Wir feiern 140 Jahre Deutsche Auslandsschulförderung, 50 Jahre ZfA, 15 Jahre WDA und 10 Jahre PASCH. Herzlichen Glückwunsch!
Bevor ich schließe möchte ich aber auf ein weiteres Jubiläum aufmerksam machen, das für alle eben genannten Jubiläen von Bedeutung ist. Vor zehn Jahren würdigte der Deutsche Bundestag mit seiner Entschließung „Deutsches Auslandsschulwesen stärken und weiterentwickeln“ die besondere Bedeutung der Schulen für die Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik.
Es lohnt sich, sich diese Entschließung der Parlamentarier noch einmal in Erinnerung zu rufen:
Darin heißt es:
„Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
• die bestehenden deutschen Auslandsschulen nachhaltig zu unterstützen und zu fördern und dabei insbesondere die Möglichkeiten Öffentlich-Privater Partnerschaft stärker als bisher zu nutzen
• eine ausreichende finanzielle Unterstützung im Schulfonds zu gewährleisten, um Planungssicherheit für die deutschen Auslandsschulen zu erhalten
• die Förderung deutscher Schulen im Ausland so flexibel zu gestalten, dass vor Ort Möglichkeiten für eigene und ortspezifische Initiativen der Schulen bestehen bleiben
• darauf zu achten, dass die Zahl und die Qualifikation der Auslandslehrkräfte dem Anspruch eines hohen Standards der Schulen und der internationalen Konkurrenzfähigkeit entsprechen.“
Und nicht zu vergessen: Ausbau und Förderung der Fortbildung von Lehrern.
Diese Kernpunkte der Entschließung haben nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil: In Zeiten, in denen Vielfalt und Weltoffenheit von manchen hinterfragt werden, ist es wichtig, gemeinsam Farbe zu bekennen. Ich appelliere an Sie alle, dabei mitzuhelfen, dieses Bekenntnis zu erneuern und umzusetzen.
Herr Außenminister Maas, ich danke Ihnen und dem Auswärtigen Amt herzlich für Ihre Unterstützung. Frau Schmidt, Frau Toledo, Frau Bauni – danke für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Danke an die Schulleiter, Vorstände, Verwaltungsleiter, Pädagogen und Mitarbeiter an den Schulen im Ausland. Sie alle gemeinsam machen die Auslandsschulen zu einem einzigartigen Erfolg.
Lassen Sie uns zusammen Steine bewegen. Lassen Sie uns gemeinsam Berge versetzen. Ich wünsche Ihnen und uns einen erfolgreichen Weltkongress.
Vielen Dank!