„Deutsche Auslandsschulen: der Inkubator für Bildungsreformen“

Außenansicht von Prof. Fthenakis, Präsident des Didacta-Verbandes, zur Zukunft und Bedeutung der Deutschen Auslandsschulen.

Der Kongress des WDA in Berlin hat mich stimuliert, einige Gedanken über die Zukunft und die Bedeutung der Deutschen Auslandschulen zu entwickeln, die ich im Folgenden zusammenfassend wiedergeben möchte:

Bildungssysteme stehen, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte. Im vergangenen Jahrhundert legitimierten sie sich über die Aufbereitung und die Vermittlung von Wissen an die nachkommende Generation. Dies machte Sinn, weil Wissen zu dieser Zeit nicht für jeden Schüler zugänglich aber für die berufliche Laufbahn und die soziale Verortung erforderlich war. Diese Legitimation reicht nicht mehr aus, weil seit geraumer Zeit Bildungssysteme einen Paradigmenwechsel vollziehen: Nicht Wissensvermittlung, sondern Stärkung kindlicher Entwicklung und kindlicher Kompetenzen, von Anfang an, bilden die neue Legitimationsgrundlage. Zudem haben sich die theoretische Grundlage, das Verständnis von Bildung, die Definition von Bildungszielen, der didaktisch-methodische Ansatz, die Organisation von Bildungsprozessen, generell die Architektur eines Bildungssystems tiefgreifend verändert. Einer solchen Herausforderung lediglich mit Strukturreformen und kosmetischen Operationen zu begegnen, kann nicht genügen.

Die Reformbereitschaft in Deutschland hält sich in Grenzen, wenn es darum geht, das Bildungssystem zu modernisieren. Die föderale Verantwortung für Bildung, administrative Hindernisse und unzureichende Investitionen begleiten und unterstützen diese fehlende Reformbereitschaft. Deshalb kommt es, aus meiner Sicht, den Deutschen Auslandsschulen die besondere Aufgabe zu, zu Vorreitern einer solchen Entwicklung zu werden und innovative Beispiele für eine längst fällige Bildungsreform in Deutschland zu liefern. Die Deutschen Auslandsschulen sollten nicht länger warten, bis sie in emanzipatorischer Manier vom bundesrepublikanischen Bildungssystem befreien und eine tiefergehende Reform einleiten, die auf einer neuen philosophischen und bildungstheoretischen Grundlage aufbaut, Bildung als sozialen Prozesse definiert, der die gesamte kindliche Bildungsbiographie begleitet, Wissensvermittlung zugunsten der Stärkung kindlicher Entwicklung relativiert, Bildungsziele im Sinne Stärkung kindlicher Kompetenzen neu definiert, den individuell gesteuerten und verantworteten Bildungsprozess verlässt und ihn auf der Grundlage ko-konstruktiv organisierter Bildungsprozesse gestaltet, die individuelle kindliche Bildungsbiographie in den Mittelpunkt stellt und Übergänge im Bildungsverlauf auf anderer Weise als bislang bewältigt. Die Deutschen Auslandsschulen sind der beste Ort, in dem die Konzeptualisierung von Diversität und Inklusion am eindrucksvollsten gelingen kann. Ihre organisatorische Flexibilität, die räumliche Nähe aller Bildungsstufen, ein anderes Verständnis von Bildungspartnerschaft mit der Familie, stellen günstige Voraussetzungen für eine solche Reform dar, die nicht nur der Optimierung kindlicher Bildungsbiographien, sondern in gleicher Weise auch der Effizienz des gesamten Bildungssystems dienen können. So verstanden können Deutsche Auslandsschulen zum Inkubator, zum Promotor für die Weiterentwicklung des Bildungssystems in Deutschland werden. Auf diese Weise können sie ihr Profil stärken und jeden Wettbewerb mit anderen Auslandsschulen bravourös bestehen. Und sie hätten als Bildungsinstitution nicht nur an Qualität gewonnen, sondern auch ihre Stellung als eine der wichtigsten Säulen auswärtiger Kulturpolitik sichern. Dazu brauchen sie nur eins: Mut zur Reform und Weiterentwicklung. Die Voraussetzungen dafür liegen in der Tat vor.

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